“Du bist eine Schande für mich, und ich bringe dir bei, dich unterzuordnen!“
Er schlug ihr mit der Faust ins Gesicht und schaute ihr dabei mit einem Lächeln in die Augen. Er schlug sie wieder und wieder, würgte sie und meinte dazu: „Das ist das Einzige, was dir hilft, zu verstehen, wer hier der Chef ist.“
Über Jahre erlebte Frau X. seelische und körperliche Misshandlung. Sie wurde isoliert, gedemütigt und vergewaltigt. Trotz erheblichen Verletzungen und Demütigungen verharrte die Klientin mehr als 8 Jahre in der gewalttätigen Beziehung. Sie glaubte, die Gewalt mit verursacht zu haben – im Gegensatz zu ihrem Partner – und fühlte sich schuldig. Es war ihr nicht möglich, sich aus der Beziehung zu lösen - bis zu dem Tag, als der neue Nachbar bei der Polizei anrief.
Diesem Nachbarn sei sie bis heute unendlich dankbar, teilte mir die Klientin bei einem unserer gemeinsamen Beratungsgesprächen mit. Denn durch den Polizeieinsatz und die Kontaktaufnahme seitens der AHG sei es ihr möglich geworden, zum ersten Mal über ihr erlittenes Martyrium zu sprechen. So fand sie den Mut, sich auf eine Beratung bei der AHG einzulassen.
Anfangs war die Klientin noch sehr verhalten und tief in ihrer Scham und Schuld behaftet. Doch anhand von mehreren Gesprächen lernte sie, sich dem Thema Gewalt und ihrem Erleben zu stellen. Somit erkannte sie, dass die gegen sie gerichtete Gewalt ihres Partners ein Unrecht ist. Diese Einsicht befähigte die Klientin darin, dass sie aus eigener Kraft eine Veränderung herbeiführen kann und dass sie sich durch die gemeinsame Betrachtung von erlebten Konfliktsituationen nicht mehr schuldig fühlen muss. Sie erkannte, dass sie Grenzen setzen darf und kann. So konnte sie ihre Ängste benennen und wertfreier betrachten.
Natürlich liegt noch ein langer Weg mit vielen Höhen und Tiefen sowie eine Traumbearbeitung durch professionelle Traumatherapeuten vor ihr. Doch die ersten Schritte sind gemacht und somit die langsame Rückgewinnung der eigenen Handlungsfähigkeit.
Die Klientin meldet sich immer wieder in losen Abständen bei mir, um ihre nach wie vor bestehenden Ängste zu besprechen, aber vor allem auch, um ihre kleinen Erfolge mit mir zu teilen. Diese Telefonate freuen mich immer sehr.
Beraterin, Januar 2022
Schreiben Sie hier Ihren Kommentar zum obigen Artikel